Beitrag zu: Polizeigewalt in Österreich und überall

Hier gibts den Beitrag zum Download: Artikel Zu Polizeigewalt

Nach dem Tod von George Floyd, Ahmaud Arbery, Breonna Taylor, Tony McDade, Jayne Thompson und den zahllosen anderen Opfern rassistisch motivierter Polizeigewalt hat die bereits lang existierende „Black Lives Matter“ Bewegung in den USA globale Protestaktionen ausgelöst und eine Öffentlichkeit für Polizeigewalt und Rassismus geschaffen.

Neben den Solidaritätsbekundungen sollte klar geworden sein, dass dies kein Problem ist, das nur jenseits des Atlantik zu finden ist, sondern auch hierzulande. In den letzten Jahren wurden vermehrt Aufnahmen über soziale Medien verbreitet, die das teils brutale Vorgehen der Polizei dokumentieren und sichtbar machen und sogar liberale Blätter und Nachrichtensendungen erreicht haben. Die Zahl der aufgeklärten Verdachtsfälle sogenannter „illegaler Polizeigewalt“ ist jedoch weiterhin beschämend. Betroffene sind insbesondere People of Color und Menschen mit Migrationshintergrund.

 

Laut der Studie „Being Black in the EU“[1] waren in Österreich 66% der Befragten Teil einer Polizeikontrolle, 37% sprachen die Vermutung aus, dass diese aufgrund von Racial Profiling durchgeführt wurde. Damit ist Österreich Spitzenreiter im europäischen Vergleich, ebenso bei den Fällen rassistischer Polizeigewalt. Diese werden zum Großteil nicht gemeldet, wegen des großen Misstrauens und der Angst vor der Exekutive, wie ein Bericht aus Deutschland zeigt. Nach einer Schätzung der UNI Bochum gibt es ca. 12000 Fälle von Polizeigewalt pro Jahr. 86% der Fälle werden nicht angezeigt, da davon ausgegangen wird dass es ohnehin erfolglos bleibt. 2018 kamen nur 40 Fälle zur Anklage.[2] Daneben sind es wiederkehrende Schlagzeilen zu rechten Strukturen innerhalb der Polizei, die die Diskussion aufkommen lassen die Polizei zu reformieren, Beschwerdestellen für Betroffene von polizeilichen Übergriffen einzurichten etc.

 

Was nicht zur Sprache steht, ist die grundlegend rassistische Verfasstheit kapitalistischer Nationalstaaten. Dabei kommt eine Betrachtung von Polizeigewalt nicht ohne Kritik an Herrschaftsstrukturen aus.

 

 

 

Im Artikel 21 der „Charter of Fundamental Rights“ der EU ist das Recht festgehalten, frei von Diskriminierung, bzgl. (sozialer) Herkunft, Glaube, Religion und politischer Meinung leben zu können. Auf formeller Ebene besteht dieser Anspruch, der jedoch im Widerspruch zu den realen Verhältnissen steht.[3]

Im Kapitalismus wird alles der Waren und Wertform unterworfen, auch der Mensch in Form von Arbeitskraft, der mit anderen in ein Konkurrenzverhältnis um Waren, Bildung und Arbeitsplätze gesetzt wird. In diesem System bietet Rassismus die Möglichkeit Menschen in bestimmte gesellschaftliche Positionen bzw. Schichten zu integrieren oder auszugrenzen, durch den Ein- und Ausschluss von „Fremden“ an den Linien der Verwertungslogik und den Verwertungsbedürfnissen.

Außenpolitisch zeigt sich das bspw. durch die territoriale Abschottung, dem sogenannten Grenzschutz der mit Gewalt durchgesetzt wird und dem Schutzsuchende zum Opfer fallen. Gleichzeitig werden Menschen häufig nicht völlig ausgeschlossen. Im Zuge der Verwertbarkeit werden Menschen vorsätzlich in prekäre Verhältnisse gedrängt um möglichst günstige Arbeitskräfte zu garantieren.[4]

Wer dabei als „fremd“ gilt, wird erst durch die Konstruktion einer bestimmten Gruppe zu einer Nation hergestellt. Die Besonderheit kapitalistischer Gesellschaften liegt darin, dass Menschen nicht nur in antagonistische Klassen und Gruppen gespalten werden, sondern vereinzelt, aus sozialen Beziehungen entbunden und als scheinbar gleiche Individuen auf dem Markt konkurrieren. Zur Schaffung von Gesellschaft braucht es daher eine Sinn und Zusammenhang stiftende Identität. Die Nation bzw. Nationalität überlagert dabei die von Individualisierung und sozialer Zerrissenheit geprägte Gesellschaft. Die scheinbar kulturell, ethnisch-geographische Abstammungsgemeinschaft wird durch zentralisierte Machtapparate durchgesetzt die somit erst „Fremde“ und ethnische Minderheiten herstellen und diese aufrecht halten. Damit wird die Grundlage für Abgrenzung gegenüber kulturell oder abstammungsmäßig als „anders“ oder „fremd“ definierten geschaffen, die für Nationalität immer konstitutiv ist.[5]

 

Menschen werden strukturell marginalisiert, in finanzielle Notlagen gedrängt, exkludiert und stigmatisiert nach Merkmalen wie Herkunft, Staatsbürgerschaft und Hautfarbe. Die Polizei als Exekutivorgan des Staates ist maßgeblich daran beteiligt die Reproduktion dieser Verhältnisse zu gewährleisten. Rassismus durchdringt diese Institution nicht, sondern ist institutionalisiert in der Verfasstheit des Staates, die die Basis bildet auf Grundlage derer die Polizei handelt. Rassistische Polizeigewalt und rassistische Amtshandlungen lassen sich daher keinesfalls auf personelles Fehlverhalten reduzieren, auch wenn naheliegend ist, dass sich die politische Orientierung der Polizei-Belegschaft auch nach ihren Strukturen richtet.

[1] European Union Agency For Fundamental Rights (2019). Being black in the EU. Abrufbar unter: https://fra.europa.eu/en/publication/2019/being-black-eu-summary

[2] Laila Abdul-Rahman, Hanna Espín Grau, Tobias Singelstein (2019). Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen. Abrufbar unter: https://kviapol.rub.de/index.php/inhalte/zwischenbericht

[3] Rassismus lässt sich nicht auf die im Folgenden erläuterten Aspekte reduzieren, es wird nur ein Auszug struktureller Bedingungen von Rassismus behandelt

[4] vgl. Etienne Balibar & Immanuel Wallerstein (1990). Rasse Klasse Nation - Ambivalente Identitäten. Hamburg: Argument.

[5] Joachim Hirsch (1995). Der nationale Wettbewerbsstaat. Berlin: Edition ID-Archiv

Kategorien: ÖH Aktuelles